Ihr seid am 27. Januar in den BSR der Strömung „Sozialistische Linke“ (SL) gewählt worden. Ist die SL nun auf einem neuen Kurs?

„Es ist eher die Rückkehr zu unserem ursprünglichen Kurs, wenn auch mit neuen Akzenten. Wir wollen wieder das linke Zentrum der Partei sein und dort für radikale, aber realisierbare Positionen werben. Das haben wir in unserem ersten Antrag so beschlossen. Und wir wollen Menschen für die Politik gewinnen, die mit den herrschenden Verhältnissen unzufrieden, die wütend und enttäuscht sind, weil sie mit ihrem Verdienst nicht über die Runden kommen oder Angst vor sozialem Absturz haben. Wir wollen populärer, herzlicher und verständlicher diese Menschen ansprechen und von der Alltagssprache und dem Alltagsbewusstsein in all ihren Widersprüchlichkeiten ausgehen, um es sozialistisch zu verändern, das war ein wichtiger Inhalt unseres zweiten Antrags für eine populäre Linke.“

 

Manche sagen, die SL habe sich in eine „Aufstehen“-Strömung verwandelt…

„Das stimmt nicht: Zwei aus unserem BSR sind aktiv bei Aufstehen dabei, einige haben zwar den Aufruf unterzeichnet, aber nehmen an Versammlungen oder Diskussionen nicht teil, andere haben explizit erklärt, Aufstehen weder anzugehören noch sich anschließen zu wollen. Worin wir uns in diesem Punkt völlig einig sind: Eine Ausgrenzung von Aufstehen würde auch der Partei schaden und Chancen ungenutzt lassen.“ „Der Gedanke einer Aufstehen-Strömung scheint uns auch abwegig, dazu ist diese Bewegung viel zu heterogen. Eine überparteiliche Sammlungsbewegung kann doch nicht das Projekt einer sozialistischen Partei oder gar Parteiströmung sein. Man kann nur umgekehrt dafür kämpfen, dass es innerhalb von Aufstehen eine starke sozialistische Strömung gibt.“

 

Man hört, dass die Mitgliederversammlung außergewöhnlich gut besucht war. Warum?

„Ja, es waren zeitweilig bis zu 160 Leute anwesend, etwa dreimal so viele wie bei der letzten Wahl-MV. Alle Beteiligten haben wohl kräftig mobilisiert.“ „Wir denken, dass viele Genoss*innen besorgt waren über die Konflikte und Machtkämpfe in unserer Partei. Diese haben auch im letzten BSR eine Rolle gespielt, darunter hat zunehmend auch die Handlungsfähigkeit der SL gelitten. Deshalb sind diesmal so viele zur MV gekommen, die den ursprünglichen Kurs der SL gewahrt sehen und die Handlungsfähigkeit der SL wieder herstellen wollten. Dementsprechend gab es in vielen Fällen auf der MV klare Zweidrittel-Mehrheiten.“

 

Inwiefern gab es vor dieser MV Probleme mit der Handlungsfähigkeit der SL?

„Schon im Vorfeld des letzten Bundesparteitages war es kaum mehr möglich, seitens des BSR Orientierungshilfen für unsere Delegierten zu bieten, weil eine gemeinsame Linie nicht mehr herstellbar war. Zunehmend wurden im letzten BSR auch äußerst knappe Mehrheitsbeschlüsse gefasst, darunter eine ablehnende Position zu Aufstehen, und, anstatt auf Konsens zu setzen, als SL-Position veröffentlicht. Das hat vielen nicht gepasst. Die klare Mehrheitsmeinung auf der MV war, dass man zur Sammlungsbewegung ein aufgeschlossenes, konstruktiv-kritisches Verhältnis pflegen sollte.“ „Es gab in der Vergangenheit auch Differenzen in anderen Fragen, die auf der MV auch eine viel größere Rolle gespielt haben.“

 

Zum Beispiel?

„Welche Schwerpunkte wir setzen, welche Zielgruppen wir vorrangig erreichen wollen und wie man Klassenkämpfe mit anderen politischen Kämpfen etwa gegen Rassismus und Sexismus verbinden sollte. Was verbindende Klassenpolitik konkret bedeutet, war einer der strittigsten Punkte. Auch über die Forderung nach offenen Grenzen für alle wurde wieder einmal gestritten.“

 

Wie ist eure Position dazu?

„Es gibt einen Kompromiss zur Asyl- und Migrationspolitik, auf den sich Partei- und Fraktionsführung Ende letzten Jahres geeinigt haben. Er enthält weitreichende gemeinsame Positionen, die für die Auseinandersetzung mit unseren politischen Gegnern aus unserer Sicht völlig ausreichend sind. Wir denken, dass es bei unseren Mitgliedern und Wählern unterschiedliche Positionen zur Arbeitsmigration und zu offenen Grenzen für alle gibt. Das finden wir nicht dramatisch, es gibt ja auch in anderen Fragen wie etwa dem bedingungslosen Grundeinkommen große Differenzen in der Partei. Es wäre falsch, in solch emotional aufgeladenen und zutiefst strittigen Fragen zu versuchen, eine endgültige Entscheidung herbeizuführen, weil uns das spalten und schwächen würde.“

„Wir stehen ohne Wenn und Aber für das Grundrecht auf Asyl und sind der Meinung, dass alle Menschen in Not aufgenommen werden sollen. Wir denken aber auch, dass die Forderung nach offenen Grenzen für alle Menschen unter kapitalistischen Verhältnissen nicht realisierbar ist, dazu sind die Wohlstandsunterschiede auf der Welt zu groß, leben zu viele Menschen unter elenden Bedingungen. Als Internationalisten und Antiimperialisten wollen wir daher stärker die Fluchtursachen in den Vordergrund stellen und Kriegen, Waffenexporten sowie ausbeuterischen Handels- und Finanzbeziehungen den Kampf ansagen. Natürlich muss man versuchen, Menschen zu retten, die im Mittelmeer zu ertrinken drohen, ist die Kriminalisierung des Personals von Rettungsschiffen abzulehnen. Aber wir müssen auch an jene denken, die es gar nicht erst bis zum Mittelmeer schaffen, sondern in ihren Heimatländern Not leiden. Damit stellen sich dann schwierige Fragen, etwa ob offene Grenzen, die zu verstärkten Wanderungsbewegungen und einem brain drain führen, am Ende die internationalen Wohlstandsunterschiede und die Probleme in den Ziel- wie in den Herkunftsländern noch verschärfen.“

 

Es gab auf der MV auch eine Auseinandersetzung, ob DIE LINKE 12 oder 13 Euro Mindestlohn fordern sollte. Warum nur 12 Euro?

„Das ist keine prinzipielle, sondern rein taktische Frage, die man nicht überhöhen sollte. Klar sind auch 12 Euro brutto die Stunde zu wenig! Aber wir kommen dem Ziel nicht näher, indem wir unsere Forderungen jetzt hochschrauben. Gerade jetzt, wo wichtige Akteure die 12-Euro-Forderung übernehmen, sollte man am Ball bleiben und den Druck für die 12 Euro erhöhen, statt mit einer neuen Forderung aufzutreten. Spätestens zur nächsten Bundestagswahl sollte man die Diskussion aber neu führen.“

 

Einige behaupten, die MV sei ein Tiefpunkt in Sachen Diskussionskultur gewesen. Wie seht ihr das?

„Das ist krass übertrieben. Alle Kandidatinnen und Kandidaten für den BSR haben ruhig und sachlich argumentiert, die Tagungsleitung war gut und fair besetzt, niemand wurde ausgegrenzt. Sicher war die Stimmung angespannt und bei so vielen Teilnehmer*innen gibt es dann auch den einen oder anderen hitzigen Redebeitrag oder unsachlichen Zwischenruf. Das war aber die Ausnahme und ist angesichts der Konflikte der letzten Monate auch nicht verwunderlich.“

„Es wurde etwas unruhig, als um die Mittagszeit weitere Leute zur Versammlung stießen und wir darüber abstimmen mussten, ob wir den Zeitplan einigermaßen einhalten und mit den Wahlgängen beginnen oder vorher noch über den vierten Antrag diskutieren. Letzteres wurde abgelehnt und die Diskussion in die Zählpause verlegt, weil wir Rücksicht nehmen mussten auf jene Genossinnen und Genossen, die von weit her angereist waren und pünktlich ihre Züge in westliche und südliche Bundesländer erreichen mussten.“

„Wir hätten den Antrag gern weiter diskutiert und dann, evtl. mit Änderungen, beschlossen. Wir bedauern, dass einige der Antragsteller*innen ihre Kandidatur zurückgezogen haben. Auch deshalb haben wir beschlossen, vorläufig nur 8 Leute in den BSR zu wählen und 4 Plätze offen zu lassen, damit Genoss*innen aus der Minderheit auf der Sommerakademie erneut kandidieren und nachgewählt werden können.“

 

Es gab auch noch weitere Genossen und Genossinnen, auch aus dem früheren BSR, die ihre Kandidatur nach der Antragsdebatte zurückgezogen haben. Werden diese nun eine neue Strömung gründen?

„Das musst Du die Genoss*innen selbst fragen. Wir möchten niemanden aus der SL vertreiben, sind ebenso offen für neue Mitstreiter*innen, die bisher in keiner oder in anderen Strömungen aktiv waren und werden intensiv daran arbeiten, viele neue (Partei)Mitglieder zu gewinnen. Der gewerkschafts- und bewegungsorientierte Flügel unserer Partei sollte möglichst stark und handlungsfähig sein, nicht schwach und gespalten.

 

Gab es weitere Beschlüsse oder wichtige Diskussionen auf der MV und wie soll es mit der SL weitergehen?

„Wir haben den Antrag ‚Wohnen ist ein Menschenrecht‘ beschlossen und das wird sicher ein wichtiges Thema sein. Schließlich sind Millionen Menschen von Wohnungsnot betroffen. In Berlin wird es ein Volksbegehren zur Enteignung von Deutsche Wohnen und anderen Immobilienhaien geben. Das unterstützen wir und werden – falls es Erfolg hat – auch in der Partei dafür streiten, dass es umgesetzt wird.“

„Auch das Thema Inklusion wurde noch eingebracht. Wie können wir Barrieren abbauen, die Menschen hindern, sich in die Politik einzubringen? Das betrifft ja nicht nur sogenannte Behinderte oder Kranke, sondern auch Menschen, die arm sind, die deutsche Sprache schlecht sprechen, keinen Internetzugang oder aufgrund von kleinen Kindern und Erwerbstätigkeit nur wenig Zeit haben und/oder keine akademische Bildung genossen haben.“

„Für die Zukunft haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, öfter mal kurze und verständliche Materialien zu wichtigen Themen zu machen, die für die praktische politische Arbeit geeignet sind. Gleichzeitig denken wir darüber nach, wie man junge Leute, die in sozialen Medien sehr aktiv sind, besser ansprechen kann. Ein konkretes Arbeitsprogramm gibt es noch nicht, das müssen wir erst erarbeiten. Anregungen nehmen wir gern entgegen, wir freuen uns über jede Unterstützung!“