Für die Abstimmung auf der Mitgliederversammlung liegt uns folgender Antrag vor:
DIE LINKE sagt „Nein, danke!“ zum Bedingungslosen Grundeinkommen
Der Parteitag möge beschließen:
DIE LINKE lehnt die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen ab. Sie bekennt sich zur Forderung einer bedarfsdeckenden, sanktionsfreien sozialen Mindestsicherung, die sie in enger Abstimmung mit einer neuen Vollbeschäftigungspolitik – „Gute Arbeit für alle!“ in Rahmen einer solidarischen Weiterentwicklung des Sozialstaats auf der Höhe der Zeit weiter entwickeln möchte.
Begründung
Trotz des „erfolgreichen“ Mitgliederentscheids, an dem sich nur 1/3 der Mitglieder beteiligt haben, kann das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) noch verhindert werden. Dies ist auch mit dem Beschlusstext des Mitgliederentscheids vereinbar.
- Der Mitgliederentscheid hat „nur“ den Rang eines Bundesparteitagsbeschlusses und kann daher problemlos durch einen normalen Bundesparteitagsbeschluss geändert werden.
- Der Mitgliederentscheid hat nur eine Bindungswirkung von 2 Jahren. In diesem Jahr, noch vor dem Bundesparteitag läuft die Bindungswirkung ohnehin aus.
- Der Beschlusstext legt „nur“ ein Verfahren fest. Der Bundesvorstand soll dem Bundesparteitag einen Entwurf zum BGE vorlegen, der dann vom Bundesparteitag beschlossen wird.
Der Bundesparteitag hat also die Möglichkeit und die Chance, den Vorschlag des Bundesvorstandes abzulehnen und damit das BGE zu verhindern. Dafür werben wir ausdrücklich!
Die derzeitige Formulierung im Grundsatzprogramm zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) war und bleibt ein guter Kompromiss. Alle diejenigen, die für ein Grundeinkommen eintreten, unterstützen auch die sanktionsfreie soziale Mindestsicherung, welche Beschlusslage der LINKEN ist, als deutliche Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand des Bürgergeldes (zuvor Arbeitslosengeld II bzw. Hartz IV). Umgekehrt lehnen etliche, wahrscheinlich die meisten, Unterstützerinnen und Unterstützerinnen der sanktionsfreien sozialen Mindestsicherung das BGE ab. Einer LINKEN, die sich zum BGE bekennt, würden viele von ihnen womöglich und bedauerlicherweise den Rücken kehren. Das würde DIE LINKE schwächen und läge weder im Interesse unserer Partei, noch im Interesse derjenigen, die von einer sozialen Mindestsicherung sowie bereits von Verbesserungen beim Bürgergeld profitieren würden.
Das Kernargument für das Bedingungslose Grundeinkommen ist nicht überzeugend.
Das Hauptargument der BGE-Befürworterinnen und -Befürworter, ein BGE einzuführen sei unvermeidlich, weil »der Gesellschaft die Arbeit ausginge«, ist offenkundig falsch. Bisher wurde noch jede solche Prognose, die Arbeit werde uns aufgrund technischen Fortschritts (durch Mikroelektronik, Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, Automatisierung, Digitalisierung usw.) ausgehen, von der Realität widerlegt. Bei einer gerechteren Einkommensverteilung könnten und würden mehr Menschen mehr Güter und Dienstleistungen nachfragen, was wiederum mehr Arbeit nach sich zöge. Aufgrund des demographischen Wandels herrscht heute an etlichen Stellen sogar ein Mangel an Arbeitskräften! Alleine im Sorge- und Betreuungsbereich fehlen hunderttausende Beschäftigte. Auch zeigt uns der Erfolg des Neun-Euro-Ticket und des Deutschlandtickets: Wäre der öffentliche Verkehr günstiger oder gar entgeltfrei, stiege die Inanspruchnahme und es müssten dort mehr Kapazitäten geschaffen und mehr Menschen beschäftigt werden.
Das BGE erreicht keine, oder nur eine schreiend ungerechte Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung.
Der Kernunterschied zwischen der soziale Mindestsicherung und dem Bedingungslosen Grundeinkommen ist nicht die Sanktionsfreiheit, sondern die Bedarfsabhängigkeit. Für Verfechterinnen und Verfechter des Bedingungslosen Grundeinkommens ist die Abschaffung jeglicher Bedürftigkeitsprüfung und jeglicher Einkommensprüfung zentral. Viele glauben darüber hinaus, weite Teile der ›Sozialstaatsbürokratie‹ abschaffen zu können. Beides beruht aber auf Irrtümern. Aber ein BGE, das für Alle gleich wäre (außer für Kinder) wäre ungerecht und wahrscheinlich gar nicht möglich. Denn was passierte, falls die Menschen von hohen Mieten oder von Krankheit, schweren Unfällen und ihren Folgen oder von einer Behinderung betroffen wären? Für sie würde ein BGE nicht ausreichen. Folgerichtig ist die ersatzlose Abschaffung einer Bedürftigkeitsprüfung nur möglich, wenn man krasse Ungerechtigkeiten in Kauf nimmt. Oder man lügt sich in die Tasche, weil die Prüfung nur vom Sozial- zum Finanzamt umzieht. Fast niemand mag Bürokratie, niemand füllt gerne Formulare aus – aber in einer modernen Gesellschaft kommt man daran aus guten Gründen nicht vorbei.
Das BGE erreicht keine Befreiung VON der Arbeit.
Für das BGE wird oft ins Feld geführt, es erlaube den Menschen, jenseits der Erwerbsarbeit anderen sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen. Dass sie das können mögen, ist auch wünschenswert. Aber schon bei Karl Marx können wir nachlesen: Auch wenn wir das ›Reich der Freiheit‹ vergrößern, bleibt ein ›Reich der Notwendigkeit‹. Die allermeisten Tätigkeiten, die mit dem BGE verbunden werden, wie künstlerische und kreative Tätigkeit, Sorgearbeit u.ä. setzen allesamt Vorleistungen und Infrastrukturen voraus, die durch Erwerbsarbeit oder andere Sorgearbeit erst geschaffen werden. Eine faire Verteilung der Arbeit ist gefragt! Um das Reich der Freiheit zu vergrößern, ist die richtige linke Antwort deswegen die Verkürzung des Arbeitstages und nicht das BGE.
Das BGE erreicht keine Befreiung IN der Arbeit.
Viele Unterstützerinnen und Unterstützer des BGE versprechen sich davon nicht nur eine Befreiung VON der Arbeit, sondern auch IN der Arbeit. Sie glauben, Menschen würden eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erzwingen können, indem sie von einem schlechten Arbeitsumfeld einfach auf das BGE auswichen. Die gegenwärtige Realität beweist uns jedoch, dass das nicht aufgeht. Im Pflegebereich ziehen sich etliche Beschäftigte stückweise durch Wechsel auf Teilzeit oder Zeitarbeit zurück oder wechseln ganz den Beruf. Ähnliches geschah unter Corona in der Gastronomie. Trotzdem haben sich die Arbeitsbedingungen dort nicht nennenswert verbessert. Wirkungsvoller ist, die Befreiung IN der Arbeit durch „Gute Arbeit für alle“ zu stärken. Dazu bedarf es aber solidarischer Organisierung, die ein BGE weder erleichtert, noch ersetzen kann.
Die Finanzierung des BGE ist illusionär.
Der Finanzierungsvorschlag der BAG Grundeinkommen ist nicht überzeugend. Selbst wenn man unrealistischerweise die steuerfinanzierten Sozialleistungen abzieht, die das BGE ersetzen soll, verbleibt ein Nettofinanzbedarf von einer Billion Euro pro Jahr. Das wären Stand 2023 fast 40 Prozent des Volkseinkommens! Zum Vergleich: Alle Städte und Gemeinden, die Länder, der Bund und die Sozialversicherungen gaben 2023 zusammen 1. 951 Billionen Euro aus. Zu Recht sind Gewerkschaften, Sozialverbände und die meisten Linken davon nicht überzeugt. Fraglich ist, ob nach Einführung des BGE das Volkseinkommen solche Höhen überhaupt noch erreichte. Zahlte man ein BGE in existenzsichernder Höhe unterschiedslos an jeden Menschen aus, würden die Unternehmen nur zu gerne versuchen, es auf die Löhne anzurechnen. Heraus käme ein Kombilohn. Kombilöhne bedeuten aber eine Umverteilung von den Steuerzahlenden zu den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Die daraus folgende Senkung der Massennachfrage würde aber das Volkseinkommen senken.
Das Bekenntnis zum BGE führt in Illusionen und sektiererische Isolation.
Bisweilen führen Unterstützerinnen und Unterstützer des BGE Umfragen an, wonach eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das Bedingungslose Grundeinkommen unterstützt. Diese Ergebnisse beruhen bestenfalls auf einem Missverständnis: Viele Befragte, die das BGE bejahen, haben dabei tatsächlich etwas vor Augen, was unserer geltenden Forderung nach einer sozialen sanktionsfreien Mindestsicherung sehr nahe kommt.
Kein einziger Sozialverband, keine einzige Gewerkschaft und keine einzige maßgebliche Bündnisorganisation der LINKEN verficht das BGE. Würde sich DIE LINKE zum BGE bekennen, stellte sie sich selbst ein Bein für die Zusammenarbeit mit diesen wichtigen Akteurinnen und Akteuren, die wir so dringend brauchen, um mehr soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.
Die Forderung nach dem BGE ist blind für gesellschaftspolitische Kräfteverhältnisse, Vorurteile und komplexere Probleme.
Der politische und mediale Sturm der Verdächtigungen, falschen Nachreden und des geschürten Sozialneids unter wenig Bevorteilten bei der Einführung und (immer noch unzureichenden!) Erhöhung des Bürgergelds muss allen eine Warnung sein: Vorurteile gegen Erwerbslose fallen in unserer Gesellschaft nach wie vor auf fruchtbaren Boden. In einer Konstellation, in der in vielen Bereiche Fachkräfte fehlen, fällt Wirtschaftsliberalen und Konservativen die Agitation gegen Menschen, die Sozialleistungen beziehen, noch leichter. Nach und neben aller genannten inhaltlichen Probleme, die bereits für sich betrachtet hinreichend eine Absage begründen, bedeutet es eine völlige Verkennung des Massenbewusstseins, des Gerechtigkeitsempfindens und unserer eigenen Möglichkeiten, sich zum BGE zu bekennen und diese Forderung in den Vordergrund zu stellen.