Politische und gesellschaftliche Eskalation – und die Krise der LINKEN

Die gegenwärtige gesellschaftliche Lage in der Bundesrepublik ist gekennzeichnet durch die Eskalation der Auseinandersetzung zwischen den bestehenden Weltmächten USA und EU auf der einen Seite, sowie Russland und China auf der anderen Seite. Dabei wird zunehmend die militärische Form der Auseinandersetzung von den westlichen Staaten vorangetrieben. Die Bundesregierung agiert dabei wie unter der Führung der USA und setzt diese auch innerhalb der EU durch. Die damit einhergehenden Zusatzbelastungen und Sozialkürzungen sowie die immer weniger ausreichenden Löhne und Renten belasten die Lebensrealität der Menschen zunehmend und verschärfen die soziale Ungleichheit. Mehr und mehr Menschen erleben Unsicherheit und Armut. Hinzu kommt ein massiver öffentlicher Investitionsstau, der dringend notwendige Modernisierungen und Verbesserungen in der Infrastruktur verhindert. Die Ampel-Regierung gibt vor, diese Probleme bearbeiten zu wollen, die tatsächlichen Beschlüsse erreichen jedoch selten wahrnehmbare Wirksamkeit. Viele Bürgerinnen und Bürger haben daher die klare Wahrnehmung, dass ihre Interessen und Bedürfnisse durch die regierenden Parteien nicht vertreten werden. Das führt zu einer grundsätzlichen Destabilisierung der Gesellschaft, zu Verlust des Vertrauens in Parteien, und zu dem Wunsch nach Stabilisierung der Verhältnisse durch radikale Veränderungen. In dieser Situation können Parteien mit polarisierenden Forderungen große Wirkung erzielen, wie die Ergebnisse der EU-Wahlen nicht nur in Deutschland deutlich gemacht haben.

Das katastrophale Abschneiden der LINKEN bei der EU-Parlamentswahl, bei der das schlechte Ergebnis von 2019 (4,9 %) noch einmal deutlich unterboten und halbiert wurde, macht deutlich, dass die Orientierung auf Wähler- und Mitgliedergewinnung aus aktivistischen Milieus, deren Ausdruck die medial inszenierte Nominierung der Umweltaktivistin Carola Rackete auf Platz 1 der Liste zur EU-Parlamentswahl war, nicht nur gesellschaftsstrategisch, sondern auch wahlstrategisch ein Irrweg war. Mit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und den ihr nahestehenden Bundestagsabgeordneten mitsamt zahlreicher kommunaler Mandatsträger und vieler ehemaliger Mitglieder haben sich die Widersprüche in der Linken nicht aufgelöst. Im EU-Wahlkampf zeigte sich, dass viele Genossinnen und Genossen kaum mehr zur Beteiligung am Parteileben, geschweige denn zu Wahlkampfaktivitäten zu mobilisieren sind. Der jahrelange Mitgliederschwund aus allen Lagern der Partei konnte durch Neumitgliederkampagnen nicht aufgefangen werden. Wahlauswertungen machen deutlich, dass auch die Wähler der Partei nicht nur weniger geworden sind, sondern allmählich nur noch in Bevölkerungsgruppen zu finden sind, in denen die akuten wirtschaftlichen Existenzprobleme den Lebensstandard nicht merklich senken.

Keine Haltung zu Krieg und Frieden

Das zentralste Thema, Krieg oder Frieden, zugespitzt auf die Haltung zur militärischen Unterstützung der ukrainischen Regierung, wurde in den Aktionen der Linken als wahlbestimmendes Thema konsequent ausgeblendet, sofern nicht die Haltung der Bundesregierung dazu im Wesentlichen übernommen wurde.

Angesichts der sich weiter zuspitzenden Konfrontation zwischen den „alten“ kapitalistischen Machtzentren USA und EU mit dem zunehmend wirtschaftlich und politisch stärker werdenden China und dem rohstoffreichen, geostrategisch bedeutenden Russland verschärfen sich auch die gesellschaftlichen Widersprüche vor allem in den alten Machtzentren immer mehr.

Während die Ausgaben für Militär und Rüstung forciert werden, ist mit fortgesetztem Rückgang von Mitteln für öffentliche Aufgaben, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und bezahlbarem Wohnraum sowie die Abfederung sozialer Ungleichheit durch Sozialausgaben zu rechnen. Die forcierte Militarisierung geht auch mit einer Verschärfung von demokratiefeindlichen Maßnahmen wie Einschränkungen in der Meinungs-, Informations- und Versammlungsfreiheit einher, wie in der Zeit der Corona-Pandemie, nach dem Beginn des Ukraine-Krieges und zuletzt bei den Protesten für die Menschenrechte der Palästinenser im Gaza-Streifen deutlich wurde.

Nachdem die Eskalationsschraube des Westens im akuten Krieg in Europa mit der Erlaubnis für die Ukraine, jetzt auch mit NATO-Waffen russisches Territorium anzugreifen, weitergedreht wurde, darf nun auch mit deutschen Waffen wieder auf Russland geschossen werden. Der Verlauf des Krieges zeigt, dass eine Lösung des Konflikts auf dem Schlachtfeld nicht möglich ist. Die militärische Logik kann nur durch Verhandlungen durchbrochen werden. Dies muss schnell eine der deutlichsten Forderungen der Linken werden – begleitet von der Forderung nach internationaler Kooperation als deutlicher Abgrenzung gegenüber rechten Demagogen.

Herausforderung Klimawandel

Während die Politik der Westmächte Kriege vorbereitet, hält sie weiter an der Dekarbonisierung der Energie für Strom, Wärme, Wirtschaft und Verkehr mittels drastischer Preissteigerungen für Öl und Gas in immer schnelleren Zyklen fest – und bietet unreife und zum Teil auch wenig effektive und gefährliche Technologien als Ersatz, die mit viel Marketingaufwand als akzeptable Alternativen dargestellt werden. DIE LINKE versäumt, dieses Vorgehen im Grundsatz als untauglich und zerstörerisch für die wirtschaftliche Existenz sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch traditioneller Produktionsbereiche zu kritisieren und Forderungen für gesamtgesellschaftliche Änderungen der Produktionsweise und der Produktionsverhältnisse zu entwickeln. Damit schließt sich die Partei im Grunde den Vorgaben der Bundesregierung an. Auch hier bleibt eine wichtige Aufgabe für die SL, politische Forderungen zu entwickeln und durchzusetzen, die den Kern des Problems – den ungezügelten Ressourcenhunger der konkurrenzbasierten kapitalistischen Verhältnisse – adressieren, ohne die Existenz des menschgemachten Klimawandels und dessen Bedeutung zu relativieren oder zu bestreiten.

Konkrete Forderungen für die vielfältigen Probleme, die sich aus den zunehmenden wirtschaftlichen Herausforderungen ergeben werden, wie die absehbaren Verschlechterungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen, Sozialwesen, öffentliche Leistungen und Dienste, Infrastruktur etc., werden immer ihre Berechtigung haben für die Arbeit der LINKEN vor Ort. Allerdings brauchen wir innerhalb der Partei eine klar erkennbare Priorität für die Erhaltung des Friedens und die Bewältigung der Herausforderung Klimawandel – Dekarbonisierung. Dies müssen die zentralen Themen werden, auch in der Auseinandersetzung mit polarisierenden Parteien aus dem rechten und bürgerlichen Spektrum.

Migration und Flucht als Folge von Krieg und Ausbeutung

Die Migrationsdebatte ist in den Wahlen der vergangenen Jahre zu einem bedeutenden Thema geworden. Auch dies ist ein Feld für propagandistische Erfolge durch einfache Forderungen. Wir gehen davon aus, dass Flüchtende gute Gründe für ihre Entscheidung haben, ihre Umgebung und die Menschen, mit denen sie vertraut sind, dauerhaft und unter hohem Risiko zu verlassen – sei es wegen Gewalt, aber auch wegen Perspektivlosigkeit aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen wie dem Verlust der Lebensumgebung. Die Methoden der EU, die Fluchtrisiken massiv zu erhöhen, sind ebenso zu kritisieren wie die Nötigung der anhand des jeweiligen nationalen Aufenthaltsrechts kriminalisierten Flüchtlinge, zu sklavenähnlichen Bedingungen für Maximalprofite zu arbeiten, oder unter menschenunwürdigen Bedingungen monate- und jahrelang in Lagern leben zu müssen. Die Gründe, warum sie ihre Heimat jeweils verlassen, liegen in den meisten Fällen im Interesse der alten und neuen Kolonialisten – wie die vielen Kriege zur Aufrechterhaltung der westlichen Hegemonie, Umweltzerstörung durch große Konzerne oder Zugang zu wichtigen Rohstoffen für die USA und andere westliche Länder. Diese Zusammenhänge müssen wir zur Grundlage politischer Forderungen machen, die die Partei DIE LINKE in der Migrationsfrage stellt.

Migrationspolitik eignet sich vor allem für Propaganda und zur Stärkung rassistischer Vorurteile, die verschärfte Unterdrückung und Lohndrückerei ermöglichen – auch hier liegen Ansätze  für aufklärende linke politische Statements. Einfache und inhaltslose Gegenforderungen gegen Ausgrenzung und Rassismus sowie die Losung nach „offenen Grenzen für alle“  sind dagegen weiterhin nicht geeignet, bei den Menschen Glaubwürdigkeit für den Sinn und die Machbarkeit der eigenen politischen Forderungen zu erlangen. Dies zeigen die Wahlergebnisse immer wieder eindrücklich.

Die Sozialistische Linke in der Existenzkrise der LINKEN

Die SL steht vor besonderen Herausforderungen: Infolge des jahrelangen Bedeutungsverlustes der LINKEN schlussfolgerten einige Genossinnen und Genossen, die die SL zum Teil mitgegründet und viele Jahre lang geprägt haben, der Aufbau einer neuen Partei sei notwendig. Neben dem Tod unseres Gründungsmitglieds Heinz Hillebrand im vergangenen Jahr markiert der Übertritt dieser Genossinnen und Genossen zum BSW einen weiteren Verlust der Sozialistischen Linken.

Die SL prägte als Zusammenschluss der Partei DIE LINKE die Diskussionen über die Ausrichtung der Partei. Kern des Wirkens der SL war seit Gründung die Balance zwischen einer marxistisch geprägten Orientierung, die auf der Analyse ökonomischer Zusammenhänge und Verhältnisse beruht und an die traditionelle Arbeiterbewegung anknüpft, und der Umsetzung von politischen Aktionen mit Beteiligung vieler Menschen durch individuelle Aktivierung von Betroffenen, um politische Ziele und Forderungen abzuleiten und gesellschaftlich durchzusetzen.

Als innerhalb der Partei DIE LINKE aus dieser Balance immer mehr ein Kampf um die Deutungsmacht wurde, konnte dies nicht ohne Folgen für die SL bleiben. Die Eskalation dieses Machtkampfs mit der Abtrennung der stärker ökonomisch-analytisch geprägten Vertreter der Bundestagsfraktion mit Sahra Wagenknecht an der Spitze war daher auch ein tiefer Bruch innerhalb der SL, in dem zum Teil langjährig engagierte Mitglieder, ihrer Überzeugung folgend, diese Abspaltung organisatorisch und persönlich mit begleiteten. Wir gehen davon aus, dass dieser Prozess innerhalb der Partei DIE LINKE und der SL noch nicht abgeschlossen ist. Daher ist es dringend, dass wir kurzfristig die Handlungsfähigkeit der SL zur politischen Intervention in die Partei erhalten. Das bedeutet zunächst konkret die Nachwahl eines handlungsfähigen SprecherInnenrates für die Erfüllung der satzungsgemäßen Aufgaben des SprecherInnenrates. Langfristig wollen wir die Handlungsfähigkeit der SL auf ein wirksames Niveau bringen – mit aktiven Debatten, die realistisch und radikal sind und die sowohl aktive Mitglieder wie Neumitglieder der LINKEN erreichen. Mit Marxismus Basics liegt ein Fundament dafür vor, das wir stabilisieren wollen. Auch die Sommerakademie als Veranstaltung des gemeinsamen Lernens, der Begegnung und der Diskussion wollen wir weiter unterstützen.

Langfristig müssen wir die Orientierung der SL als Zusammenschluss klären. Was bedeutet „gewerkschaftsnah“ angesichts der Veränderungen und Entwicklungen in den Gewerkschaften, die denen in der LINKEN nicht unähnlich sind, und die ebenfalls mit dem Bedeutungsverlust als Organisationen der Lohnabhängigen konfrontiert sind. Gleichzeitig unterstützen wir alle Kolleginnen und Kollegen sowie Intitiativen, die innerhalb der Gewerkschaften um die klare Ablehnung von Kriegskurs und Aufrüstung kämpfen.

Gemeinsam die SL stärken

Es gibt in dieser Zeit der allgemeinen Krise der bestehenden kapitalistischen Weltordnung und der Kriegsvorbereitung eine dringende Notwendigkeit für starke linke Forderungen und politische Erfolge. Diese innerhalb der Partei DIE LINKE zu erarbeiten und zu organisieren ist die zentrale Aufgabe der Sozialistischen Linken als Zusammenschluss innerhalb der Partei.

Dieser Aufgabe wollen wir uns stellen und freuen uns über jede und jeden, in oder außerhalb der Partei DIE LINKE, der und die uns dabei aktiv unterstützt.

Für die Bearbeitung und Änderungsvorschläge findest Du die Datei hier:

SL-Leitantrag MV Juni 2024