Am vergangenen Mittwoch, den 12. April 2023 erreichte uns die Nachricht, dass unser Freund und Genosse Heinz Hillebrand verstorben ist. Viele von uns hofften zunächst, dass diese Info doch bitte ein Missverständnis oder eine Verwechslung sein möge. Zu abseitig und unvorstellbar erschien es uns, dass Heinz, der noch einige Tage zuvor mit uns zusammen die Bundesmitgliederversammlung der SL plante und von seiner anstehenden Reise erzählte, nicht mehr da sein sollte. Leider ist Heinz tatsächlich am 11. April im Urlaub in Tunesien gestorben. Er wurde 68 Jahre alt. Wir waren und sind geschockt und sehr traurig.  In dieser Situation wollten uns auch nicht sofort viele Worte einfallen und wir mußten das erst einmal sacken lassen.  Wir danken unserem Genossen Matthias W. Birkwald, der bereits vor einigen Tagen treffende Worte fand.

 

Heinz war unser langjähriger Mitstreiter und er war viele Jahre Bundessprecher der SL. Ihm angemessen zu gedenken ist trotz vieler erwähnenswerter Taten und Daten kaum möglich. Das Besondere an dem engagierten Menschen Heinz war seine Neugier und seine bedachte, feinsinnige Art. Er war kein Mann der Schnellschüsse, sondern der gründlichen Abwägungen. Jemand, der sich von den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht hetzen ließ, sondern strukturiert und planvoll vorging. Das ist im besten Sinne die alte Schule der materialistisch qualifizierten Marxisten. Den Anfang auf dem Weg zu dieser Art, die Welt zu lesen und zu verändern, bildete Heinz’ Engagement in der Lehrlingsbewegung, die er während seiner Ausbildung zum Industriekaufmann kennenlernte. Auch innerhalb der Gewerkschaft setzte er sich seitdem ein. Heinz wurde dann Mitglied der DKP, wo er später dem Erneuerer-Flügel angehörte.

 

Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten zu können, zeichnete Heinz aus. Er konnte sachlich und respektvoll streiten und lebte dies vor. Denn eine von Heinz’ großen Stärken war seine Antenne dafür, was die Menschen antreibt und ausmacht, um deren Motive hinter den Worten und Meinungen zu verstehen. Diese empathische Art hatte gewiss auch damit zu tun, dass er an sich selbst gut reflektieren konnte, wie die eigenen Lebensumstände und Lebenserfahrungen einen prägen. Aus einer Arbeiterfamilie stammend, konnte er über den zweiten Bildungsweg schließlich sein Abitur nachholen und Geschichte, Germanistik und Philosophie studieren –  mit allem, was dazu gehört, wenn man diesen individuellen sozialen Aufstieg durchlebt. Zeitlebens zeigte Heinz  deswegen stets Interesse an den Werdegängen und familiären Hintergründen seiner Genossinnen und Genossen. Das machte ihn zu jemandem, der auch mit denjenigen, die in manchen Fragen anderer Ansicht waren als er, zusammenarbeiten konnte.

 

Heinz war von Beginn an, also dem ersten Treffen für eine Wahlalternative, das am 5.3.2004 in Berlin stattfand, am Aufbau der späteren, im Juli 2004 gegründeten WASG, aktiv und leitend dabei. Heinz bedeutende Rolle in diesem Prozess wird daran deutlich, dass er sowohl im Vorstand der neu gegründeten Partei WASG und dann in der Steuerungsgruppe des Parteibildungsprozesses mit der PDS direkt beteiligt war. Dennoch war Heinz niemand, den es  in den Mittelpunkt drängte. Als Direktkandidat für die neue Partei DIE LINKE in seiner Heimatstadt Wuppertal und den angrenzenden Städten Solingen und Remscheid im Jahr 2009 machte er dennoch auch öffentlich eine gute Figur.  Er etablierte sich als eine der wichtigen Personen der LINKEN, die aber nicht in der ersten Reihe stand: Durch seine Arbeit in der SL und als jemand, der den Landesverband der LINKEN in NRW mit aufbaute.

 

Im Jahr 2006 gehörte Heinz zu den Gründungsmitgliedern der SL und entwickelte diese Strömung die meisten Jahre auch als Mitglied im BundessprecherInnenrat mit. Seine klaren klassen- und friedenspolitischen Ansätze prägen die SL bis heute. Ein Highlight des Jahres ist die von Heinz mit ausgedachte Sommerakademie des Soli-Vereins – ein Bildungswochenende, bei dem Heinz über die Jahre bei zahlreichen Workshops zum Lernen und Nachdenken anregen konnte. Wenn Heinz Workshops oder Seminare leitete, war er in seinem Element. Mit bisweilen schelmischem, neugierigem Blick trat er vor einen Kurs. Ruhig und souverän führte er die Teilnehmenden durch den Stoff, den er vermitteln wollte. Manchmal kam es dabei vor, dass seine Stimme – geprägt durch den bergischen Akzent seiner Heimatstadt – vielleicht einen Laut oder eine Silbe verschluckte.

 

Angesichts seiner Qualitäten und Erfahrungen war es folgerichtig, dass Heinz der Leiter der Abteilung politische Bildung in der Parteizentrale der LINKEN in Berlin wurde. Dort konzipierte er mit anderen maßgeblich den Kurs „LINKE 1“, der linkes, marxistisches Basiswissen an die Mitglieder vermitteln wollte. Dass der Kurs, nachdem Heinz in Rente gegangen war, von der Bundespartei eingestellt wurde, hat Heinz ziemlich getroffen. Über seine Aufgaben in der politischen Bildung lernte er in Ost wie West viele Kreisverbände der LINKEN kennen. Sein Wissen um linke Geschichte und sein Interesse an den persönlichen Hintergründen der Mitglieder, machten ihn zu jemandem, der Personen, ganze Kreisverbände und Parteidynamiken erstaunlich gut einschätzen konnte. Über viele Jahre war Heinz zudem auch Mitglied im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bei der letzten Wahl des Vorstandes im Jahr 2022 wurde er, der sich immer wieder bemühte, Brücken zu anderen Linken zu bauen, jedoch nicht wieder in dieses Gremium gewählt. Das blieb nicht ohne Effekt auf ihn und seine Sicht auf die Partei DIE LINKE.

 

Obwohl Heinz als durch und durch politischer Mensch bezeichnet werden kann, dessen Leben sich um die Politik drehte, war er auch dem schönen Leben nicht abgeneigt und konnte dies genießen, z. B. Literatur und Malerei.  Nachdem Heinz in Rente ging, lebte er seine Leidenschaft für das Reisen aus: einige Monate ging er mit seiner Frau auf eine Weltreise und kam mit vielen neuen Eindrücken wieder. Er übernahm dann eine aktive und aktivierende Rolle in der LINKEN in seiner neuen Heimat Wildau bei Berlin. Er wurde Stadtverbands- und Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung und machte Furore mit seinem akribischen Engagement gegen dubiose Vorgänge um Grundstücksverkäufe der Gemeinde, die letztlich auch zur Abwahl der Bürgermeisterin führten.

 

Eine gesamtdeutsche Partei links der SPD und der Grünen, war für Heinz eine wertvolle Errungenschaft. Doch schon früh warnte er für die damals neue Partei DIE LINKE vor zwei Gefahren: „Die eine Gefahr liegt im Bereich der sog. Realpolitik, die keine Realpolitik ist, sondern ein Sich Einrichten, in dem Parlamentausschüsse für die Welt gehalten werden. Die andere Gefahr ist in gewisser Weise das Gegenteil, das Sich Einrichten im linken Milieu, das auch mit der Welt verwechselt werden kann.“  In den letzten Jahren lag Heinz zunehmend über Kreuz mit seiner Partei DIE LINKE, in die er doch so viel Engagement, Zeit und Herzblut investiert hatte. Aus diesem Grund gehörte Heinz zu den Gründungsmitgliedern und Antreibern des Karl-Liebknecht-Kreises Brandenburg, der sich in Opposition zum Kurs der Bundes- und Landespartei versteht. Heinz kritisierte die übermäßige Fixierung auf „identitätspolitische“ Fragen und auf junge akademische Milieus als Fehlentwicklung. Um diese Kritik sachlich und nachvollziehbar für alle zu „verpacken“ konzipierte er extra ein politisches Bildungsseminar, das sich dem Spannungsfeld zwischen Klassenpolitik, Bewegung und Identitätspolitik näherte. Durch seine proletarischen Wurzeln und sein Interesse an den Arbeiten von Pierre Bourdieu war er sprichwörtlich prädestiniert dafür.

 

Heinz, der einst viel politisches Engagement in die Friedensbewegung steckte, kritisierte zuletzt auch die unzureichende Positionierung und das mangelnde Engagement der LINKEN für Verhandlungs- und Friedenslösungen im Ukraine-Krieg. Aufgrund der jüngeren Vergangenheit war er zunehmend der Auffassung, dass eine Rückbesinnung der Partei DIE LINKE auf ihr Erfurter Programm nicht mehr realistisch ist. Heinz beteiligte sich deswegen aktiv an der Diskussion über eine linke Perspektive – nötigenfalls auch außerhalb der Partei. Der für den 6.5.2023 in Hannover geplante Kongress „Was tun?! –  DIE LINKE in Zeiten des Krieges“ ging stark auch auf Heinz zurück. Seine wohl überlegten Wortmeldungen werden nicht nur dort schmerzlich fehlen. Auch im BundessprecherInnenrat der SL werden wir Heinz unfassbar vermissen. Wir können Heinz nicht ersetzen, aber wir versprechen, dass wir in seinem Sinne weitermachen und ihn niemals vergessen werden.

 

Danke, lieber Heinz, für alles und mach es gut!

 

Dein BundessprecherInnen-Rat der SL (Conny Barth, Gitte Jentsch, Lydia Krüger, Kathrin Otte, Regina Preysing, Constantin Braun, Jöran Klatt, Ralf Krämer, Michael Niedworock, Thorsten Schlitt)