Wir gratulieren Janine Wissler und Susanne Hellwig-Wellsow zu ihrer Wahl und wünschen ihnen viel Erfolg als Parteivorsitzende und im anstehenden gemeinsamen Wahlkampf.
Dem auf dem Parteitag verabschiedeten Leitantrag fehlt zwar eine tiefere Analyse der realen Kräfteverhältnisse, aber es ist weitgehend gelungen, gemeinsame Positionen zu finden und die von uns eingebrachten Änderungsanträge wurden übernommen. Positiv ist auch, dass der von der SL mit eingebrachte Antrag G.03. „Nie wieder Krieg! Frieden und Zusammenarbeit statt Aufrüstung und Konfrontation!“ (PDF) zur Friedenspolitik mit breiter Mehrheit verabschiedet wurde.
Wir hoffen, dass dies der erste und vorerst auch letzte komplett digitale Parteitag unserer Partei war. Das Digitale erschwerte für viele Delegierten nachvollziehbar die demokratische Gestaltung. Während Delegierte bei einem Präsenzparteitag viel mehr mitentscheiden können, was geschieht (bspw. durch eine Aktion auf der Bühne, direkte Absprachen untereinander und mit der Antragskommission, eine kurzfristige Wortmeldung o.ä.) ist dies beim digitalen Parteitag kaum möglich. Weil die Technik dazwischen geschaltet ist. Bisweilen wirkte das produzierte Bild eher wie eine Fernsehshow, denn wie eine demokratische Parteiveranstaltung. Unschön war auch wie die (männlichen) Tagungsleitungen über GO-Anträge hinweggingen oder Delegierte, die wegen technischer Probleme bei Stichwahlen nicht abstimmen konnten, als quasi zu doof hingestellt wurden, um in den Konferenzraum zu gelangen. Das muss respektvoller gehen.
Jeder in der Partei unterstützt das Anliegen, dass DIE LINKE mehr Zuspruch unter Menschen mit Migrationsgeschichte erfährt. Wir hätten es besser gefunden, wenn der Antrag „Für eine migrantische und antirassistische LINKE“ (PDF) deshalb breit in der Partei diskutiert worden wäre oder in den Bundesauschuss überwiesen worden wäre, wie es eine Genossin mit Migrationshintergrund beantragte. Damit alle in der Partei in dieser wichtigen Frage mitgenommen werden. Es ist nämlich keinesfalls so, dass alle Parteimitlieder mit Migrationsgeschichte in allen Punkten so denken wie die Gruppe Linkskanax, die den Antrag eingebracht hatte. Schließlich bedauern wir als SL, dass zwei Mal beim Parteitag Fake-News über die EU verbreitet wurden: Im Gespräch mit Martin Schirdewan (Fraktionsvorsitzender im EP) sowie im Gespräch mit Gregor Gysi (ehemaliger Präsident der Europäischen Linken) hieß es, der EU-Corona-Wiederaufbaufonds sei nicht an Kürzungspolitik geknüpft, und dies sei ja sowas wie ein Paradigmenwechsel. Leider ist das komplett falsch. Der hoch geschätzte Prof. Martin Höpner schrieb gerade erst vor ein paar Wochen, dass der EU-Aufbaufonds an das europäische Semester geknüpft sei. Also: Bleiben wir als LINKE bitte stets dabei, zu sagen was ist und verfallen wir nicht in Wunschdenken.
Zu sagen was ist, ist auch bei der Zusammensetzung des neuen Parteivorstands angebracht: Hierüber sind wir äußerst besorgt. Denn dieser spiegelt weder die Pluralität der Partei noch die realen Kräfteverhältnisse in der Partei adäquat wider. Die Strömung der „Bewegungslinken“, die gemeinsam mit der AKL und dem linksliberalen Lager der Partei ein paar Dutzend Stimmen mehr mobilisieren konnte, konnte alle ihre 20 KandidatInnen für den Parteivorstand durchsetzen. Dem gegenüber sind die Vertreter der Sozialistischen Linken, der Kommunistischen Plattform oder der BAG Hartz IV sowie von Cuba Si nicht mehr in dem 44-köpfigen Gremium des Parteivorstands vertreten. Auch wenn wir uns über die guten Wahlergebnisse für die von uns empfohlenen KandidatInnen Ali Al-Dailami, Friederike Benda und Jan Richter sehr freuen und auch die Wahl einiger anderer Mitglieder des PV (darunter Finanzexperte und WASG-Gründungsmitglied Axel Troost) begrüßen, müssen wir bedauernd feststellen, dass die traditionell marxistischen, früher linkssozialdemokratischen und reformkommunistischen Kräfte, die bei der Bildung der LINKEN eine zentrale Rolle spielten, im jetzigen PV weitgehend ausgegrenzt sind. Mit Ralf Krämer verliert der Parteivorstand ein Mitglied, das zudem ökonomischen und sozialpolitischen Sachverstand eingebracht hat, auch der Ökonom Maurice Höfgen wurde nicht gewählt. Dabei wären solcherart Kompetenzen für DIE LINKE gerade jetzt sehr wichtig, wenn wir in den anstehenden Kämpfen um eine gerechte Verteilung der Krisenlasten, um die Abschaffung der öffentliche Investitionen hemmenden Schuldenbremse, um eine Vermögensabgabe oder ein Zukunftsinvestitionsprogramm punkten wollen.
Als Parteiströmung, die bei der Gründung der Partei DIE LINKE eine tragende Rolle gespielt hat, sind wir uns der Bedeutung von Pluralität sehr bewusst. Ohne die Rücksichtnahme der damals deutlich mitgliederstärkeren ostdeutschen Landesverbände gegenüber den neugegründeten Landesverbänden im Westen würde es DIE LINKE heute in dieser Form nicht geben. Übrigens auch nicht ohne den konsequenten und nachhaltigen Einsatz der Sozialistischen Linken für den Zusammenschluss von WASG und PDS – damals in heftiger Auseinandersetzung mit der AKL, der SAV und dem sog. „Netzwerk Linke Opposition“.
Durch Mitgliederverluste in strukturschwachen Gebieten vor allem im Osten und Zugewinne an überwiegend jungen Mitgliedern in den Metropolregionen hat sich DIE LINKE verändert und wir stehen vor neuen Herausforderungen, was den Umgang miteinander, die Gewährleistung von Pluralität, aber auch was die inhaltliche Ausrichtung und Schwerpunktsetzung betrifft. Uns bereitet Sorge, dass die LINKE ihr Profil als milieuübergreifende Partei verliert und sich zunehmend auf einzelne Milieus verengt. Nicht diese Gefahr zu benennen ist problematisch, sondern sie zu ignorieren. Es sind reale Widersprüche in unserer Partei, aber auch in unserer Wählerschaft vorhanden. Wir müssen als Partei lernen, diese Widersprüche auszuhalten und eine Strategie entwickeln, wie wir mit ihnen auch und gerade im Wahlkampf produktiv umgehen können.
Von der neuen Parteiführung erwarten wir, dass sie sich gerade angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse umso mehr um einen integrativen Kurs bemüht und die vielen Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rückt, damit der Aufbruch in einen aktiven und erfolgreichen Wahlkampf gelingen kann.
Die Sozialistische Linke wird sich – auch weiterhin – um Einheit und Zusammenhalt durch Ausgleich zwischen verschiedenen Polen bemühen: im Interesse der Lohnabhängigen und der sozial Ausgegrenzten, die eine starke politische Interessenvertretung dringend brauchen. Mehr denn je werden wir in Zukunft Angebote entwickeln, um dafür zu streiten, dass DIE LINKE wieder stärker einen populär ausgerichteten Kurs einschlägt, der sich inhaltlich auf die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung wie Arbeit, Frieden und eine soziale Gestaltung des ökologischen Umbaus konzentriert. Wir laden alle Genoss:innen ein, sich uns hierbei anzuschließen.
Foto: Jakob Huber (CC BY-NC-SA 2.0)