DIE LINKE hat bei den Europaparlamentswahlen mit einem Rückgang von 7,4 auf 5,5 Prozent der Stimmen herbe Verluste eingefahren. Sie hat nur noch fünf statt vorher sieben Sitze errungen, davon nur eine Abgeordnete – Özlem Demirel – aus dem Westen und dem eher linkeren Lager der Partei. DIE LINKE hat Wählerinnen und Wähler vor allem ins Lager der Nichtwähler, an die Grünen und an Kleinparteien verloren. Selbst vom Jahrhundertdebakel der SPD konnte sie nicht profitieren. Bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen hat DIE LINKE leicht zugelegt und über drei Prozentpunkte mehr als bei der Europawahl geholt. Bei den Kommunalwahlen in mehreren Ländern hat DIE LINKE im Westen überwiegend leicht zugelegt, in den ostdeutschen Ländern hat sie überwiegend stark verloren, landesweit meist ein Viertel bis ein Drittel ihrer Stimmen, v.a. in ländlichen und kleinstädtischen Bereichen.

Dafür gibt es zum einen strukturelle Gründe. Die soziale räumliche und ideologische/mentale Spaltung vertieft sich – zwischen Stadt und Land (und zwischen Innenstädten und Vorstädten), zwischen Ost und West, zwischen „Gewinnern und Verlierern“, zwischen „kosmopolitisch“ und „kommunitaristisch“. Eine einheitliche Strategie zu finden, die unserem gesamten WählerInnenpotential gerecht wird, ist nicht einfach. Im Osten setzt sich die Erosion der traditionellen WählerInnenbasis der LINKEN fort.

Zum anderen ist es der LINKEN nicht gelungen, den Wählerinnen und Wählern zu vermitteln, warum sie uns bei den Europawahlen ihre Stimme geben sollten. Programmatisch hatten wir kein klares Profil, kein Alleinstellungsmerkmal, keinen Fokus. DIE LINKE macht Europa sozial? Ein unrealistischer Anspruch, den uns kaum einer abgenommen hat. Die sozialen Kernthemen der LINKEN standen im Wahlkampf nicht im Mittelpunkt. Das Friedensthema, bei dem DIE LINKE ein Alleinstellungsmerkmal hätte, spielte kaum eine Rolle. Zudem hat wie in Europa die GUE/NGL auch DIE LINKE in Deutschland unbekannte Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt. Die Klimafrage wurde ganz überwiegend mit den Grünen verbunden und es gelang nicht, die Unzulänglichkeit der kapitalismusunkritischen grünen Positionen deutlich zu machen.

Dass die Europawahl zu einer „Schicksalswahl“ gegen Rechts (und „für Europa“) hochstilisiert wurde, hat europaweit eine Polarisierung zwischen Liberal-Grünen und Rechtspopulisten befördert. Statt diese Erzählung ebenfalls zu bedienen, hätte DIE LINKE sich stärker – der Youtuber Rezo hat es vorgemacht – als die Opposition zur herrschenden Politik in der EU und in Deutschland profilieren und diese angreifen müssen.
Der Niedergang einstiger „Volksparteien“ setzt sich fort, aber DIE LINKE profitiert nicht davon. Stattdessen etablieren sich die Grünen als der neue Mainstream, vermeintlich kritischer und v.a. ökologisch problembewusster, zugleich niemanden wirklich angreifend und für alle wählbar. Jüngere und eher progressive Proteststimmen gingen, begünstigt durch das Fehlen einer Fünfprozenthürde, überwiegend an Kleinparteien. „Die Partei“ erreichte bei den Unter-30-jährigen mehr Stimmen als DIE LINKE. Auf der anderen Seite schafft es die AfD, ihre Position als rechte Oppositions- und Protestpartei flächendeckend zu verfestigen. In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegt sie auf dem zweiten Platz hinter der CDU, in Sachsen und Brandenburg ist sie sogar stärkste Kraft. Die AfD rangiert mittlerweile bei Arbeitslosen und bei Arbeitern gleichauf mit der CDU/CSU und ist fast viermal so stark wie DIE LINKE.

Es hat nichts mit Schlechtreden zu tun, wenn wir feststellen, dass auch DIE LINKE vielerorts den Draht zu einfachen Menschen, zu Arbeiterinnen und Arbeitern sowie kleinen Selbstständigen und deren Problemen verloren hat. Bei diesen, bei niedrig Qualifizierten und bei mit ihrer wirtschaftlichen Lage Unzufriedenen hat DIE LINKE besonders stark verloren, wenngleich sie von Letzteren noch überdurchschnittlich gewählt wird. Wir schaffen es bislang nicht, uns auch in ländlichen Gebieten, aber auch in ehemaligen SPD-Hochburgen stärker zu verankern, sondern verlieren unsere vormals starke Position in ostdeutschen Regionen. Wir haben unser Image als „Protestpartei“ zum großen Teil eingebüßt, setzen in der öffentlichen Debatte zu wenig Akzente und beschäftigen uns zu sehr mit uns selbst, statt nach außen zu wirken.

Schließlich hat der interne Streit uns Stimmen gekostet, auch und gerade bei bisherigen Stammwählern, die sich geärgert haben über den Umgang mit Aufstehen und Sahra Wagenknecht bis zum Versuch, klarere EU-Kritik in der Partei klein zu halten, bei der Listenaufstellung und in der Wahlkampagne. Es gab viele, insbesondere EU-kritische, linke und uns nahestehende Sympathisanten, die DIE LINKE nur mit Bauchschmerzen oder gar nicht mehr gewählt haben.

So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen dringend eine ernsthafte Debatte über unsere strategische Aufstellung. Nötig wäre eine verbindende Politik und Strategie, die die verschiedenen Flügel der Partei und noch wichtiger die unterschiedlichen Teile der gesellschaftlichen Basis und des WählerInnenpotentials der Linken überzeugt – und auch personell adäquat abbildet.

DIE LINKE muss sich als populäre soziale und linke Alternative profilieren – gegen die herrschende ungerechte Politik wie gegen die nationalistische Rechte. Im Zentrum sollten folgende Punkte stehen:

  • Sozialstaat und Demokratie schützen und ausbauen! Kapitalistische Globalisierung und EU-Integration und ein zunehmend autoritärer Neoliberalismus untergraben Demokratie und Sozialstaat und schwächen die Positionen der Lohnabhängigen. Wir wollen die demokratische Macht und Gestaltungsfähigkeit der Mehrheit stärken und die der herrschenden Klasse zurückdrängen.
  • Frieden und internationale Solidarität! Frieden und eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten sind bedroht durch einen aggressiven Imperialismus. Freihandelsverträge, Militär und Regime-Change-Kriege sollen weltweit freie Bahn für das Kapital und die Dominanz der USA durchsetzen. Wir kämpfen gegen Krieg und für Völkerverständigung und gute Nachbarschaft.
  • Gute Arbeit und sozial-ökologischer Umbau! Solcher Fortschritt kann nur gelingen mit sozialer Gerechtigkeit und einer neuen Qualität gesellschaftlicher und staatlicher Regulierung und Steuerung. Der Kapitalismus muss durch einen neuen, demokratischen und ökologischen Sozialismus überwunden werden!

DIE LINKE wird dringend gebraucht. Den einfachen Schlüssel zum Erfolg gibt es vermutlich nicht. Nötig ist beharrliche Arbeit an der Basis, die unterstützt wird von einer klugen Führung, in der sich – bei allen Differenzen und damit verbundenen Auseinandersetzungen – alle wiederfinden können, die auch bei unseren (potentiellen) Wählerinnen und Wählern gut ankommt und sich bemüht, unsere populären Persönlichkeiten zu unterstützen statt zurückzudrängen.