Ein Plädoyer für das Große im Kleinen von Elisabeth Kula.

Kommunalpolitik ist unsexy – da sind sich viele Linke einig. Gähnende Langeweile in Diskussionen über Parkbänke, Friedhofs-Gießkannen und Bauleitplanungen werden oft damit verbunden. Das aber ist zu kurz gedacht. Linke Kommunalpolitik lässt sich nämlich durchaus als Klassenpolitik verstehen. Die traditionelle Arbeiterklasse, auf die sich viele Theorie- und Strategiedebatten der gesellschaftlichen Linken bis in die 90er Jahre bezogen, hat sich aber als wahrgenommene Bezugsgröße heute so gut wie aufgelöst. Durch den neoliberalen Umbau der Gesellschaft differenzierte sich die Klasse der Arbeitenden immer weiter aus. Kollektive Zusammenhänge, wie die gewerkschaftliche Organisierung im Betrieb, eine gemeinsame Lebensweise – Wohnraumsituation, Freizeitgestaltung etc. – oder gemeinsame Weltbilder sowie Denk- und Wertmuster, spielen heute kaum noch eine Rolle.

Die historischen Bedingungen sind für ein identitätsstiftendes Projekt von links denkbar ungünstig. Die Großgewerkschaften sind geschwächt. Der Angriff auf Identitätsstrukturen durch den Neoliberalismus sowie die damit einhergehende allgemeine Verunsicherung über den eigenen Platz in der Gesellschaft sowie der arbeitsteiligen Ökonomie verhalf nationalistischen und rassistisch-chauvinistischen Gruppierungen und Parteien zum Aufstieg. Der Ort der Entsolidarisierung, der sich zuspitzenden Konkurrenz, der Entdemokratisierung und der Polarisierung sind neben den Betrieben die Kommunen. Diese können ihren Aufgaben immer weniger nachkommen, da sie durch die restriktive austeritätspolitische Haushaltspolitik der EU und im Bund eingeschränkt werden. Genau hier muss angesetzt werden.

Austeritätspolitik greift die kommunale Handlungsfähigkeit an

Der aktuelle Finanzmarktkapitalismus verschaffte sich insbesondere in den Städten neue Akkumulationsräume. Immobilienspekulationen machten einige Wenige sehr reich und bedeuteten für viele Andere erhebliche Einschnitte. Neben der „Aufwertung“ der Metropolen gibt es gleichzeitig eine Verarmungspolitik der öffentlichen Haushalte zu Gunsten einer Finanzialisierung: Während Austeritätspolitik die öffentliche Daseinsvorsorge substantiell angreift, wird es Kommunen erlaubt, auf den Finanzmärkten mitzuspekulieren. Die Folge sind reihenweise Privatisierungen oder gar Schließungen öffentlicher Einrichtungen, die nach neoliberaler Logik zu „unproduktiv“ sind. Die Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte ist unter der Federführung der EZB und weiterer nicht-demokratisch legitimierter Institutionen der EU erfolgt.

 

Kommunale Verteilungsfragen sind Klassenfragen

Die wichtigsten Fragen betreffen die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen dem privaten Reichtum einiger Weniger und dem dadurch angegriffenen gesellschaftlichen, öffentlichen Reichtum. Kurz zusammengefasst kann man von einem Umverteilungsprozess von unten nach oben sprechen. Schließlich kommt die öffentliche Daseinsvorsorge insbesondere denjenigen zu Gute, die sich Leistungen wie einen Schwimmbadbesuch oder eine gut ausgestattete Kita auf dem unregulierten Markt nicht leisten können. Kommunalpolitik ist unter diesen historischen Umständen in jedem Fall „Klassenpolitik“, da sie direkt und unmittelbar mit den neoliberalen europäischen Reformen konfrontiert ist, die die Interessen von Prekarisierten, Menschen mit geringem Einkommen, Arbeitslosen, Rentner*innen, Student*innen, Menschen mit Behinderungen und Geflüchteten angreift.

Zentrale Aufgabe linker Kommunalpolitik, die sich als Klassenpolitik versteht, ist es also, die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, dessen Entstehungsgeschichte sowie die demokratische Teilhabe daran zum Thema zu machen. „Klasse“ bedeutet in diesem Sinne nicht die identifikationsstiftende, ökonomisch-harmonische Einheit. Sie ist aber auch kein zufälliger Zusammenhang unterschiedlicher Menschen. Das politische Subjekt linker Kommunalpolitik sind diejenigen, deren Interessen durch die herrschende Politik unterminiert und angegriffen werden. Die austeritätspolitischen Maßnahmen wirken „sozial höchst selektiv“, wie es der kritische Humangeograf Felix Wiegand ausdrückt. Das politische Subjekt setzt sich also aus verschiedenen Fraktionen der unteren gesellschaftlichen Klassen zusammen und ist folglich inhomogen in seiner Zusammensetzung. Um das Krisenmanagement anzugreifen, ist es dringend notwendig, kommunalen Widerstand zu organisieren und zu unterstützen.

 

Den Widerstand stärken und erfahrbar machen

In Spanien gibt es bereits Bewegungen, die mit Hilfe von linken Parteien – oder auch unabhängig von diesen – Kommunalverwaltungen übernommen haben oder zumindest die Politik der Kommunen maßgeblich mitbestimmen. In Deutschland gibt es kleinere Ansätze wie die „Recht auf Stadt“-Bewegung oder Proteste gegen die Kürzungspolitik. Diese aufflackernden Akte des Widerstands sollten wir als LINKE zum Ausgangspunkt einer kommunalen Klassenpolitik verstehen. Linke Kommunalpolitik bedeutet sehr viel mehr als die reine parlamentarische Arbeit, ohne deren Möglichkeiten – Offenlegung der Mechanismen neoliberaler Politik, Nutzung verbliebener finanzieller Spielräume – außer acht zu lassen. Eine stetige Parlamentsarbeit als wahrnehmbare oppositionelle Kraft kann Räume für widerständige Interventionen öffnen und zur Bildung einer kritischen Öffentlichkeit beitragen. In Marburg hat es die Bündnis-Fraktion „Marburger Linke“ beispielsweise geschafft, die Kürzungs- und Sparmaßnahmen im Sozial- und Kulturbereich durch die Stadt öffentlich zu machen und zu skandalisieren, so dass breiter gesellschaftlicher Protest entstehen konnte. Gleichzeitig ist es unerlässlich, sich in außerparlamentarischen Bündnissen zu engagieren und zuverlässige Streiksolidarität vor Ort zu zeigen. Da haben wir vom Bündnis gegen die Privatisierung des Uniklinikums bis zum lokalen Bündnis gegen TTIP viele Erfahrungen gesammelt. Kommunalpolitik im Sinne von „Klassenpolitik“ zu verstehen, bedeutet schlussendlich auch ganz praktisch, als helfende Partei aufzutreten. Durch das Anbieten von Sozialsprechstunden oder ähnliches können LINKE Vertrauen schaffen und näher an die Menschen selbst rücken.

Es gilt, die Relevanz der kommunalpolitischen Tätigkeit innerhalb der Partei neu zu gewichten. Kommunalpolitik als Klassenpolitik zu verstehen bedeutet schließlich nicht weniger, als dem Austeritätsregime lokalen Widerstand entgegenzusetzen. Diese Gesamterzählung muss linke Kommunalpolitik rahmen, ansonsten wird sie zu Verwaltungshandeln statt zu „Klassenpolitik“. Der Parteiaufbau vor Ort, die Wahl von Abgeordneten in die städtischen Parlamente, die Schaffung von unterstützenden Angeboten für bedürftige Menschen, die gewerkschaftliche Orientierung, außerparlamentarisches Engagement in Bündnissen vor Ort sowie die Verstetigung all dieser Aktivitäten kann solidarisierend, identitätsstiftend und organisierend wirken. Allianzpolitik im Sinne einer verbindenden Partei muss vor Ort konkret werden, damit Solidarität unter den Abgehängten und Ausgegrenzten erfahrbar wird.

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Elisabeth Kula ist Mitglied des Landesvorstands der LINKEN Hessen und aktive Kommunalpolitikerin in der Stadtverordnetenversammlung Marburg.